Damit Sie am Ende nicht alt aussehen

28.06.2018

Was Senioren belastet - und wie man die Lebensqualität mit einfachen Mitteln verbessern kann.

Der nachfolgende Artikel wurde der Sonntagszeitung vom 3. Juni 2018 entnommen:

In etwa 30 Jahren werden mehr als eine Million über 80-jährige Menschen in der Schweiz leben. Die Frage ist nur, wie? Muskelstark und geistig rege? Oder schwach und einsam? So viel ist klar: Häufigen Problemen des Alters kann man vorbeugen – idealerweise schon bevor man sich alt fühlt.

 

Der Wert des Alters

Wie sprechen wir über das Altern? Vor allem mit Begriffen, die nichts Gutes verheissen: Abnahme, Verschlechterung, Rückgang, Verlangsamung. Damit verbunden ist die Furcht vor Abhängigkeit und Niedergang. Mit dem Älterwerden entspreche das «gefühlte» Alter immer weniger dem biologischen, sagt Roland Kunz, Chefarzt der Akutgeriatrie am Zürcher Stadtspital Waid. «Die über 70-Jährigen fühlen sich rund zehn Jahre jünger. Das gilt auch, wenn sie krank sind.» Sie für «Altersthemen» zu gewinnen, sei daher schwerer.

Demenz

Es stimmt zwar, dass die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, mit dem Alter steigt. Vergleicht man aber 80-jährige Frauen, die nach 1929 geboren wurden, mit solchen, die früher das Licht der Welt erblickt hatten, zeigt sich noch ein anderes Bild: Die später Geborenen bekommen viel seltener eine Demenz. Von 100 Personen, die vor 1920 geboren wurden, wurde pro Jahr bei fünf neu eine Demenz diagnostiziert. Drei neue Fälle im Jahr waren es bei denjenigen, die zwischen 1920 und 1924 geboren wurden, und nur 0,23 bei Personen, die nach 1929 zur Welt kamen, wie eine Analyse aus der New Yorker Bronx ergab.

Einsamkeit

Eine «dramatische Zunahme» von Menschen, die keine Angehörigen haben, prophezeien US-Sozio­logen. In gut 40 Jahren werden in den USA 6,3 Millionen Menschen leben, die weder einen Partner noch Kinder, Geschwister oder lebende Eltern haben, wobei Schwarze überproportional betroffen sein werden. Die Zahl der Männer ohne Kinder, Partner oder Partnerin wird von 6,6 Millionen (2015) auf 8,2 Millionen im Jahr 2060 steigen, bei den Frauen von 6,3 Millionen auf 7 Millionen. Den grössten Anteil an diesem Zuwachs werden diejenigen ausmachen, die ­weder heiraten noch Kinder bekommen, und diejenigen, die einst verheiratet waren und kinderlos blieben.

Appetitmangel

Mindestens einer von zehn älteren Menschen, die für sich selbst sorgen, hat wenig Appetit. Von den 70- bis 79-Jährigen gaben in einer Studie sogar mehr als 20 Prozent an, ihr Appetit sei schlecht. Oft sei der wahre Grund aber fehlende Sozialkontakte, sagt Roland Kunz. «Dass einem der Appe­tit vergeht, wenn man allein vor einem Fertigmenü aus der Mikrowelle sitzt, ist verständlich.» Seine Beobachtung: «Kaum essen diese Senioren mit anderen an einem Tisch, kommt ihr Appetit wieder.» Wenn man mobil sei, solle man deshalb versuchen, mit anderen zu essen. Viele Altersheime bieten ­Mittagstische auch für «Auswärtige» an. Eine andere Option ist zum Beispiel, sich mit Nachbarn zusammenzutun und reihum zu kochen. So bringt etwa das Projekt Tavolata Menschen zum Essen zusammen (www.tavolata.ch).

Mangelernährung

Im Alter sinkt der Kalorienbedarf, nicht aber derjenige an Spurenelementen und Vitaminen. «Oft essen ältere Menschen auch zu wenig Eiweiss. Im Verhältnis zum jüngeren Körper braucht der ältere mehr davon», sagt Roland Kunz. Deshalb kann selbst bei normalem Körpergewicht eine Mangelernährung vorliegen, insbesondere bei einer ungewollten Gewichtsab­nahme, etwa im Zusammenhang mit Krebs oder chronischen Erkrankun­gen. Die Folgen: Wunden heilen schlechter, Infektionen häufen sich, es gibt mehr Komplikationen. Die Spitalaufenthalte dauern in der Folge länger, und die Sterblichkeit steigt um ein Mehrfaches. Pro Kilo Körpergewicht sollten Senioren täglich 1 bis 1,2 Gramm Eiweiss essen. Ist die Muskelmasse bereits stark reduziert, sind sogar 1,4 Gramm ratsam. Solche Eiweissquellen sind zum Beispiel Eier, Milchkaffee, Fisch, Bohnen, Quark – am besten abwechslungsreich. Um lebenswichtige Abläufe im Körper wie Blutbildung oder Herztätigkeit aufrechtzuerhalten, greift der Körper im Notzustand auf seine Kohlenhydrat- und Fettreserven zurück, schliesslich auch auf die Eiweissspeicher – und das sind vor allem Muskeln.

Muskeln

Bei Kindern überwiegt der Muskel­aufbau. Etwa ab dem 25. Lebensjahr aber beginnen die Abbauprozesse zu überwiegen. Mit jeder Lebensdekade verlieren Männer etwa 5 Prozent ihrer Muskelmasse und 13 Prozent an Muskelstärke. Bei Frauen sind es 4 respektive 8 Prozent. Entzündungen, etwa bei rheumatischen Erkrankungen oder Infektionen, verstärken den Prozess. Fehlen die Muskeln, häufen sich Stürze und Knochenbrüche. Deshalb raten Mediziner, nicht ­tatenlos zuzuschauen, wie die Muskeln schwinden, sondern frühzeitig etwas dagegen zu tun: regelmässig bewegen mit Kraft- und Ausdauertraining, genügend Eiweiss essen und darauf achten, dass ab dem 70. Lebensjahr das Gewicht stabil bleibt. Eine starke Gewichtsabnahme geht dann vor allem zulasten der Muskeln. Kanadische Wissenschaftler testeten in einer kleinen Studie zum Beispiel den Effekt eines Molkedrinks mit Kalzium, Omega-3-Fettsäuren und weiteren Nahrungsergänzungs­mitteln. Ohne zusätzlichen Sport resultierte das in einem kleinen ­Zuwachs an Muskelkraft. Deutlich wirksamer war es mit zusätzlichem, intensivem Training: Sowohl mit dem Molkedrink als auch mit Placebo schafften die Teil­nehmer nach zwölf Wochen rund 20 Prozent mehr Kraftübungen als vorher. Diejenigen, die den Drink erhalten hatten, schnitten dabei aber deutlich besser ab als die Placebogruppe.

Blutdruck

Wann rückt der Tod näher? Einen Hinweis darauf liefert der Blutdruck. 14 bis 18 Jahre vor dem Tod erreicht er seinen Höchststand, ab dann geht es bergab mit ihm. In den letzten zwei Lebensjahren ist die Blutdruckabnahme am stärksten. Das ermittelten Forscher an über 60-jährigen Menschen. Benötigte ein Senior früher vier Blutdrucksenker gegen den Bluthochdruck und kommt er schliesslich mit nur noch einem solchen Medikament aus, ist das also nicht unbedingt ein gutes Zeichen.