Bericht: Hinterrhein

11.06.2019

Besuch des Walserdorfs vor dem San Bernardino-Tunnel

Am 11. Juni 2019 besuchten 30 Verbandsmitglieder das Walserdorf Hinterrhein vor dem San Bernardino-Tunnel. Die Gemeinde ist der erste Ort am Hinterrhein und Ausgangspunkt zum San Bernardino. Um 1270 kamen die ersten Walser vom Val Formazza über das Misox nach Hinterrhein. Damit wurde Hinterrhein zur ältesten Walsersiedlung in Graubünden. Durch die Fahrbarmachung der Strasse Chur-Bellinzona 1820 und die Eröffnung der Gotthardbahn 1882 verloren die Hinterrheiner die Verdienstquelle aus der viele Jahrhunderte ausgeübten Säumerei. Dank des 1967 eröffneten San Bernardino-Strassentunnels lässt sich Hinterrhein heute sowohl im Sommer wie im Winter von Norden und Süden bequem erreichen. Mailand und Zürich sind in zwei Stunden erreichbar. 1995 wurde die Schule in Hinterrhein aufgelöst. Die Kinder gehen seitdem in Splügen zur Schule. In Hinterrhein lebt man zum grössten Teil von der Landwirtschaft. Es gibt noch 8 Bauernbetriebe hier. Hinterrhein liegt 1624 Meter über Meer und besitzt 68 Einwohner. Per 1. Januar 2019 bildet Hinterrhein mit Nufenen, Medels und Splügen die Gemeinde Rheinwald.

Die Walser lebten vornehmlich von der Landwirtschaft, aber bald einmal auch vom Transitverkehr über den San Bernardino. Sie arbeiteten als Säumer und im Winter als Rutner auf der Passstrasse. Auf der Säumerroute war Hinterrhein die letzte Pferdewechselstation vor der San Bernardino-Passhöhe und deshalb auch ein kleines Handelszentrum. Davon zeugt zum Beispiel das Brunnähuus am Dorfplatz. Es soll einst als Warenumschlagplatz gedient haben. Selbst von Vals her – Vals wurde von Hinterrhein her besiedelt – kamen die Einwohner über den Valserberg, um im Dorf Waren einzukaufen. Jeweils rund 50 Kilogramm Reis, Polenta, Zucker oder auch Wein sollen sie sich im Winter pro Mann auf den Buckel geladen und zur Passhöhe hinaufgetragen haben. Nach Vals hinunter ging es dann per Schlitten. Im Sommer kamen Saumtiere zum Einsatz.

Bachhuus; Vom Landwirt zum Gastwirt
Das Mittagessen war für uns im Bachhus vorbereitet. Vor rund 10 Jahren haben Johann Egger und seine Frau Christine ihren ehemaligen Vorratskeller in eine urchige Gaststube verwandelt. Die sanitarischen Vorgaben des Kantons waren in Bezug auf die Hygiene von Küche und WC alles andere als einfach einzuhalten. Der Aufwand hat sich aber gelohnt. Hier verwöhnt das Ehepaar seither Gäste aus dem In- und Ausland mit einheimischen Spezialitäten, alles Bioprodukte aus lokalem Anbau. Den früheren Landwirtschaftsbetrieb hat es dem Sohn übergeben. Eindrücklich erzählt Johann Egger, wie schwer es für ihn gewesen ist, seine Geissen wegzugeben. In der Zwischenzeit ist er mit dem damaligen Entscheid sehr zufrieden und kann von der Gaststätte leben. Wenn man ihm vor 20 Jahren gesagt hätte, er würde in Zukunft Jacken aufhängen und Mahlzeiten servieren, hätte er es nicht für möglich gehalten.

Dorfführung
Baudenkmäler finden sich nicht nur in grossen Städten, auch in einem kleinen Bergdorf gibt es viel Erstaunliches zu entdecken, wenn eine Dorfgemeinschaft ihr Wissen über ihre Häuser preisgibt, deren Geschichte zum Teil weit ins Mittelalter zurückreicht. Elisabeth Hasler-Stoffel führte die Gruppe durch das Dorf und konnte kompetent zu jedem Haus aus seiner Geschichte Interessantes erzählen. Zeugen des einstigen Wohlstandes und einer wirtschaftlichen Blütezeit im hintersten Rheinwald sind die prächtigen, grossen Steinhäuser mit den mit Gneis bedeckten Dächern. Die Ausrichtung des Baustils nach Süden ist augenfällig. In Hinterrhein hat jedes Haus einen Namen, der seine frühere Funktion oder seine Lage verrät, z.B. Usserschthuus, Rothuus, Brunnähuus, Bachhuus usw. In Hinterrhein lebt man zum grössten Teil von der Landwirtschaft. Im Sommer werden die rund 100 Ziegen durch das Dorf auf die Weide getrieben. Milch und Fleisch werden zu Bioprodukten verarbeitet. Auf dem Gebiet der Gemeinde, im Talgrund westlich des Dorfes, liegt ein grosser Waffenplatz der Schweizer Armee. Er bietet Schiess- und Übungsmöglichkeiten für bis zu vier Kompanien und ist einer der wenigen Waffenplätze in der Schweiz, auf dem das Gefecht der verbundenen Waffen trainiert werden kann.

Bilder und Text: Peter Guidali